Requiem

Ich werde sie alle töten. Das ganze Clübchen. Töten.
Alles wird sich verändern. Die Prioritäten werden neu verteilt werden müssen. Zumindest für eine Weile. Ich bin keine Illusionistin, ich werde den Untergang dieser verfehlten, scheinheiligen Gesellschaft nicht aufhalten können, das ist mir klar. Ich will es auch gar nicht erst versuchen. Das Zeitalter der kollektiven Selbstverblendung ist bereits zu gefestigt. Mein brachialer Eingriff in den Alltag einiger weniger wird daran nichts ändern.
Und trotzdem – für ein paar Wochen wird der Boden, auf dem all die angenehmen Seichtigkeiten des Lebens gezüchtet werden, gehörig wanken. Dann werden die sonst so bevorzugten luftleeren Themen in unserem Büro wie Kalorienzählen und Nagelfeiltechniken, oder die schreckliche Zuspitzung unerträglicher Intrigen im Marienhof mal hinten anstehen. Dann wird das aufgeregte Wispern über das Casting neuer talentfreier Möchtegernhüpfdohlen oder die Analyse zweifelhafter “Experten” über das Fehlverhalten einer englischen Journalistin beim Versuch endlich einen Macker abzukriegen der sie heiraten will, kurzzeitig verstummen. Niemand wird dann noch damit zu beeindrucken sein, dass man seit Wochen nur Salat und Tee zu sich nimmt, zur Belohnung jetzt aber wieder in die Hose hineinpasst, die vor der Geburt von Luca Sebastian Konstantin oder Anabel Lisa Sofia wie eine Eins saß.
Für ein paar Tage werden die Übriggebliebenen ihre kleinen geschminkten Mündchen zu nichts anderem als zu verzweifelten Schluchzern und schockiertem Gebrabbel wie: Oh Gott ... wie schrecklich ... Ich stand direkt daneben ... Das viele Blut! ... öffnen können.

Ich werde das nicht mehr erleben. Die letzte Kugel in der Pistole ist für mich bestimmt – wohlgemerkt nachdem ich mindestens einmal nachgeladen habe! Ich möchte nicht länger in dieser Welt existieren, in der geistiger Tiefgang wie eine Krankheit bekämpft wird, in der das Fernsehen unser Leben vordiktiert, und jeder Einzelne inzwischen tatsächlich daran glaubt, dass dort die Realität stattfindet! Tim sagt uns, was uns schmeckt, und Enie weiß, welche Farbe unsere Wände haben sollen. Bei Günter eignen wir uns fingiertes Halbwissen für imponierende Sprüche über die griechische Mythologie an, und wenn wir in Schwierigkeiten geraten, hauen Lenßen und Partner uns wieder raus.
Kann mir mal einer sagen was das soll? Wozu hat die Evolution uns dieses etwas mehr als ein Kilo schwere Stück Schwammmasse in den Schädel gelegt, wenn wir es über die Jahre hinweg bewusst abtöten mit flimmernden Pseudowirklichkeiten und fehlender Denkinitiative? Ich will nicht mehr länger dahinvegetieren zwischen all diesen Blendern und Selbstbetrügern, Simulanten und Blindgängern unserer Gesellschaft! Vor allem nicht zwischen diesen unbewohnten, mehr oder weniger gut gestylten Hüllen von Tippsen und Kaffeekocherinnen, deren Lebensinhalt aus dem Tratschen über die besteht, die grade nicht da sind, die sich den Finger in den Hals stecken, um schlank zu sein, und Bücher über Moppel-Ichs und Emanzen am Herd lesen. Ich kann deren Nähe einfach nicht mehr ertragen!